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Mehr Flexibilität für mehr Arbeit

Von Volker Giersch
Standpunkt

01.12.2009

Zu den größten Konjunkturrisiken für 2010 zählt ohne Frage die weitere Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Je stärker die Beschäftigung zurückgeht, desto stärker werden die Bremswirkungen auf Binnennachfrage und Konjunktur ausfallen.

Einig sind sich die Experten darin, dass die Arbeitslosigkeit noch weit bis ins nächste Jahr hinein anwachsen wird. Strittig ist indes, wie stark sie ansteigt. Zu den „Optimisten“ zählt der Chefvolkswirt der Allianz Michael Heise. Er rechnet damit, dass die Arbeitslosigkeit im Jahresschnitt nicht über 3,9 Millionen steigen wird. Auch der Rat der Wirtschaftsweisen ist zuversichtlich, dass die Vier-Millionen-Grenze nicht überschritten wird. Die OECD hält dagegen einen Anstieg auf 4,3 Millionen Arbeitslose für wahrscheinlich. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, sagt gar 4,5 Millionen voraus.

Die Spannweite der Prognosen überrascht nicht. Denn bislang lässt sich kaum abschätzen, wie lange die Unternehmen noch Kurzarbeit fahren und ihre Stammbelegschaften halten können. Das Ausmaß der Kurzarbeit bewegt sich seit Monaten auf einem langjährigen Rekordniveau. Immerhin arbeiten derzeit rund 1,1 Millionen Arbeitnehmer kurz – vor allem in den exportorientierten Branchen der Industrie. Rein rechnerisch sichert die Kurzarbeit damit rund 350.000 Vollzeit-Arbeitsplätze. Dank ihrer attraktiven Ausgestaltung (Bezugsdauer bis zu 24 Monate, Freistellung der Arbeitgeber von Sozialabgaben ab dem 7. Monat) hilft sie, das Konjunkturtal zu überbrücken und stabilisiert so den Arbeitsmarkt. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass die Bundesregierung die Sonderregelungen über das Jahresende hinaus verlängern will.

Ob und wie stark das Instrument Kurzarbeit in Zukunft noch greift, hängt entscheidend davon ab, wie kräftig sich die Weltkonjunktur im kommenden Jahr erholt und wie stark unsere Exportwirtschaft davon profitieren kann. Die Zeichen stehen nicht schlecht. In den zurückliegenden zwei Quartalen konnte die Industrie bereits rund ein Drittel des dramatischen Nachfrageeinbruchs aus dem vergangenen Winterhalbjahr aufholen. Sollte die Erholung in diesem Tempo anhalten, wird das viele Unternehmen bestärken, ihre Mitarbeiter soweit möglich zu halten. Denn sie wissen, dass Fachkräfte in den kommenden Jahren noch knapper werden als sie es heute bereits sind.

Nicht zu unterschätzen ist bei alledem, was Politik und Tarifpartner selbst zur Stimulierung des Arbeitsmarktes beitragen können. Die Entwicklung von 2006 bis 2008 hat eindrucksvoll gezeigt, welche Kräfte sich freisetzen lassen, wenn die Fesseln auf dem Arbeitsmarkt behutsam gelockert werden und die Tarifpolitik einen beschäftigungsorientierten Kurs steuert. Daran müssen wir anknüpfen und gleichzeitig Irrwege vermeiden.

Behutsame Lockerung des Kündigungsschutzes

Ganz oben auf die Agenda gehören weitere Schritte zur Flexibilisierung des nach wie vor überregulierten Arbeitsmarktes. Handlungsbedarf besteht vor allem beim Kündigungsschutz. Er ist für viele Unternehmen ein erheblicher Kostenfaktor – vor allem, weil er eine hohe Rechtsunsicherheit birgt. Etwa jede dritte Kündigung landet derzeit vor dem Arbeitsgericht. Kein Wunder also, dass die Unternehmen mit Neueinstellungen zurückhaltend sind.

Eine behutsame Lockerung des Kündigungsschutzes könnte gerade in der aktuellen Arbeitsmarktphase positive Impulse geben. Auch in dieser schwierigen Konjunkturlage gibt es Unternehmen, die zusätzliche Arbeitsplätze schaffen könnten. Flexiblere Regelungen auf dem Arbeitsmarkt würden ihre Bereitschaft fördern, trotz noch bestehender Unsicherheiten neue Mitarbeiter einzustellen.

Konkret setzen sich die IHKs für drei Reformschritte ein:
  • Erstens sollte die Schwelle, ab der der Kündigungsschutz gilt, von derzeit zehn Beschäftigten auf 20 Mitarbeiter angehoben werden; dies allerdings nur für neu abgeschlossene Arbeitsverhältnisse. Für alle Altverträge würde mithin Bestandsschutz gelten.
  • Zweitens sollte die maximale Befristungsdauer bei Zeitverträgen von derzeit zwei auf künftig vier Jahre verlängert werden. Das würde zusätzliche Freiräume schaffen, Mitarbeiter für Aufgaben einzustellen, die nur von begrenzter Dauer sind.
  • Drittens schließlich sollte Mitarbeitern, die neu eingestellt werden, die Möglichkeit eingeräumt werden, zwischen einer verbindlichen Abfindungsregelung und dem Kündigungsschutz zu wählen.
Dass mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt Erfolg verspricht, hat eine Umfrage der IHK-Organisation erst kürzlich nochmals eindrucksvoll bestätigt. Danach räumen 58 Prozent der befragten Unternehmen einer Reform des Arbeitsmarktes oberste Priorität ein, noch vor der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und Korrekturen an der Unternehmen- und Erbschaftssteuerreform.

Reformen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes gehören gerade in Zeiten leerer Kassen ganz oben auf die Agenda. Denn sie zählen zu jenen Instrumenten, die viel bringen, ohne den Staat finanziell zu belasten. Deshalb ist zu bedauern, dass der Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb keine mutigen Schritte in diese Richtung vorsieht.

Beschäftigungsorientierte Lohnpolitik

Eine entscheidende Rolle für die Beschäftigung spielt insbesondere auch die Lohnpolitik. Angesichts der zunehmenden Arbeitslosigkeit und der deutlich gestiegenen Lohnstückkosten muss die Devise für 2010 heißen: Beschäftigungssicherung statt Lohnerhöhung. Hoffnung macht hier, dass sich mehrere Industriegewerkschaften bereits entsprechend positioniert haben. Sie wissen, dass Lohnkosten maßgeblich darüber entscheiden, wie viele Mitarbeiter die Unternehmen über das Konjunkturtal hinweg halten können. Und sie sehen sich dem Ziel verpflichtet, einen möglichst großen Teil der industriellen Basis über die Krise zu retten. Bleibt zu hoffen, dass sich diese Einsicht in möglichst vielen Branchen durchsetzt.

In der Vergangenheit hat oft geholfen, dass viele Tarifverträge Öffnungsklauseln enthalten, die es in Not geratenen Unternehmen ermöglichen, von den Festlegungen des Flächentarifvertrags abzuweichen. Die Tarifvertragsparteien sollten diesen Weg der Flexibilisierung von Flächentarifverträgen konsequent weiter verfolgen.

Wie die Löhne entscheiden auch die gesetzlichen Lohnnebenkosten über die Höhe der Beschäftigung. Deshalb ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung die krisenbedingten Einnahmenausfälle und Mehrausgaben in der Sozialversicherung durch höhere staatliche Zuschüsse und Kredite ausgleichen will. Das trägt zur Stabilisierung der Beitragssätze bei. Auf mittlere Sicht gilt es zudem, die Arbeitgeberbeiträge zur Krankenversicherung im Zuge der anstehenden Reform einzufrieren. So steht es im Koalitionsvertrag. Und so muss es mit Blick auf den Arbeitsmarkt auch umgesetzt werden.

Gefährlich wäre es, die Reformen der Agenda 2010 (weiter) zu verwässern. Negative Folgen hätte insbesondere eine Re-Regulierung der Zeitarbeit. Gerade in Zeiten großer Unwägbarkeiten brauchen die Unternehmen Spielräume, ihre Beschäftigung schnell an Schwankungen der Nachfrage anpassen zu können. Vor allem für die Industrie ist diese Flexibilität ein wichtiger Faktor im internationalen Wettbewerb.

Keine weiteren Mindestlöhne

Auch die Festlegung weiterer Mindestlöhne ginge zu Lasten der Arbeitsmarktbilanz. Denn Mindestlöhne kosten, wenn sie das marktgerechte Lohnniveau überschreiten, unweigerlich Beschäftigung. Schlimmer noch: Sie vernichten Arbeitsplätze gerade dort, wo die Not auf dem Arbeitsmarkt am größten ist: bei den gering qualifizierten Arbeitskräften. Der Sachverständigenrat hat deshalb in seinem jüngsten Gutachten erneut davor gewarnt, die Nachteile branchenspezifischer Mindestlöhne zu verharmlosen. „Je nach Bindungswirkung“, so der Rat, „gehen von Mindestlöhnen erhebliche Beschäftigungsverluste aus.“ Das belegen auch zahlreiche empirische Studien. Mit den im Jahr 2009 in Kraft getretenen Mindestlohngesetzregelungen, dem Arbeitnehmerentsendegesetz und dem Mindestarbeitsbedingungsgesetz hat der Gesetzgeber einen gefährlichen Irrweg beschritten. Rasche Umkehr ist dringend erforderlich.

Leider treffen Vorschläge, die auf mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt zielen, derzeit auf wenig Zustimmung und auf viel Widerspruch. Sie gelten weithin als Teufelszeug aus den Instrumentenkosten der Neoliberalen. Dennoch wäre es - gerade auch mit Blick auf die Schwächsten auf dem Arbeitsmarkt -falsch und fahrlässig, auf stimulierende Arbeitsmarktreformen zu verzichten.

Die Regierungsparteien sollten sich deshalb auf jene Reformagenda zurück besinnen, für die sie im Wahlkampf 2005 noch so eindringlich geworben haben. Sie wäre heute genauso heilsam wie damals. In den Jahren des Aufschwungs hätte sie geholfen, den Aufbau von Beschäftigung weiter voranzutreiben. Jetzt, auf dem Weg aus dem Konjunkturtal, würden sie helfen, den Anstieg der Arbeitslosigkeit in Grenzen zu halten.