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Den Kohleausstieg regionalpolitisch flankieren

Von Volker Giersch
Kommentar

01.03.2007

Das Ende des Steinkohlenbergbaus in Deutschland ist in Sicht, das Auslaufdatum auf 2018 festgelegt. Zwar haben sich die Beteiligten in Berlin darauf verständigt, dieses Datum in 2012 nochmals zu überprüfen. Doch ist aus heutiger Sicht kaum vorstellbar, dass sich die Energiemärkte bis dahin so grundlegend wandeln werden, dass die Steinkohleförderung in Deutschland die Wirtschaftlichkeitsschwelle erreichen wird. Denkbar ist – je nach Entwicklung – übrigens auch ein früherer Auslaufzeitpunkt. Denn die Überprüfung soll ergebnisoffen erfolgen.

Derzeit liegen die Förderkosten deutscher Steinkohle mit 190 Euro je Tonne um rund 130 Euro über dem Weltmarktpreis. Und es spricht wenig dafür, dass der Importpreis für Kohle bis 2012 drastisch steigen wird. Denn Kohle ist in politisch stabilen Ländern reichlich vorhanden und kann dort aufgrund günstiger Abbaubedingungen und niedriger Arbeitskosten noch jahrzehntelang kostengünstig abgebaut werden. Keine Frage: Die Steinkohle bleibt für Deutschland ein wichtiger Energieträger, aber eben nicht die deutsche.

Auch unter dem Aspekt Versorgungssicherheit macht die dauerhafte Förderung deutscher Steinkohle keinen Sinn. Ein Sockelbergbau mit einer jährlichen Fördermenge zwischen sechs und acht Millionen Tonnen würde gerade einmal 1,3 Prozent des Energiebedarfs decken und wäre im Falle einer Energiekrise deshalb eine „quantité négligeable“. Wenn mehr Versorgungssicherheit erwünscht sein sollte, dann doch besser über längere Laufzeiten der Atomkraftwerke. Das wäre wirksamer, wirtschaftlicher und zugleich auch klimaverträglicher.

Ungewiss ist zurzeit noch, wann die Steinkohleförderung im Saarland auslaufen wird. De facto hängt das weniger von regionalpolitischen Wünschen als vom betriebswirtschaftlichen Kalkül der DSK ab. Schon in wenigen Monaten wird die DSK – nach eingehenden Gesprächen mit den Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen und dem Saarland – einen Plan vorlegen, der die Schließung der Gruben auf der Zeitachse festlegen wird. Soweit betriebswirtschaftliche Kriterien entscheiden, sollte Ensdorf zu den Gruben mit der längsten Restlaufzeit zählen. Denn die Grube liegt bei Produktivität und Förderkosten nach wie vor in der Spitzengruppe der deutschen Zechen.

Auch aus sozialpolitischer und regionalwirtschaftlicher Sicht wäre es gut, wenn Ensdorf nicht vor Mitte des kommenden Jahrzehnts stillgelegt würde. Nur dann ließen sich die Anpassungsprobleme, die die Bergbaubeschäftigten, die Zulieferer und die Kohlekraftwerke betreffen, ohne größere Friktionen beherrschen.

Personal sozialverträglich abbauen

Für den saarländischen Arbeitsmarkt ist wichtig, dass der Ausstieg aus der Kohle sozialverträglich erfolgen soll. Klar ist dabei, dass der Weg über vorzeitige Ruhestandsregelungen künftig mehr Zeit erfordert als bisher. Mit Blick auf die Altersstruktur sind 400 bis 450 Frühverrentungen je Jahr wohl noch machbar. Mehr aber nicht.

Eine zweite Möglichkeit liegt darin, die noch jüngeren Mitarbeiter – gegebenenfalls durch gezielte Qualifizierung – fit für die Beschäftigung in anderen Branchen zu machen. Das ist in den vergangenen Jahren zum Teil mit gutem Erfolg gelungen. Neuansiedlungen wie Nordgetreide in Überherrn haben davon profitiert. Doch das Potenzial ist inzwischen kleiner geworden. Qualifizierte Mitarbeiter unter 40 sind in Ensdorf rar geworden.

Der sozialverträgliche Personalabbau braucht also Zeit. Realistisch betrachtet wohl ein knappes Jahrzehnt. Es sei denn man wählt die Möglichkeit, die zunächst nicht vermittelbaren Mitarbeiter in eine Beschäftigungsgesellschaft überzuleiten. Doch würde das – je nach Lebensdauer dieser Gesellschaft – wohl nicht ohne negative Rückwirkungen auf den Arbeitsmarkt bleiben.

Zeit brauchen auch unsere saarländischen Kohlekraftwerke. Denn sie müssen von heimischer Kohle auf Importkohle umgestellt werden. Das ist technisch anspruchsvoll und auch betriebswirtschaftlich nicht ohne Risiken.

Bergbauzulieferer erfolgreich im Ausland

Ein positives Beispiel für erfolgreichen Strukturwandel sind die Bergbauzulieferer, die zur Zeit noch gut 1.100 Mitarbeiter beschäftigen. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten standen diese Betriebe vor der ständigen Herausforderung, rückläufige Aufträge von der DSK verkraften zu müssen. Sie haben ihre bergbautechnische Kompetenz genutzt, sich auf ausländischen Märkten wie Südafrika, Osteuropa, Russland, China und Indien aussichtsreich zu positionieren. Die Exportquote der industriellen Bergbauzulieferer dürfte derzeit im Schnitt bereits bei rund 70 Prozent liegen – Tendenz steigend. Einigen Unternehmen ist es zudem gelungen, in andere Branchen hinein zu diversifizieren. Die Abhängigkeit vom deutschen Bergbau ist entsprechend gesunken. Dennoch dürften im Zulieferbereich zurzeit noch rund 200 bis 300 Arbeitsplätze vom heimischen Bergbau abhängen. Auch hier ist die Zeit ein wichtiger Faktor: Je langsamer die Bestellungen der deutschen Gruben zurückgehen, desto besser wird es gelingen, den Rückgang durch Zuwächse im Auslandsgeschäft auszugleichen.

An bisherigen Erfolgen anknüpfen

Bleibt schließlich die regionalwirtschaftliche Herausforderung, den Wegfall der Bergbauarbeitsplätze durch neue Arbeitsplätze in anderen Branchen auszugleichen. Mut macht da ein Blick in die Vergangenheit. In den 60er Jahren etwa sank der Personalstand bei den Saargruben um mehr als 30.000. Jahr für Jahr gingen im Durchschnitt gut 3.000 Bergbauarbeitsplätze verloren – mehr als drei Mal so viele also wie jetzt bedroht sind. Und doch ist es durch beispielhafte Erfolge in der Ansiedlungspolitik gelungen, die Lücke weitgehend zu schließen. Zugegeben: Die Zeiten waren andere. Deutschland war damals ein hoch attraktiver Produktionsstandort. Es herrschte Vollbeschäftigung. Viele Unternehmen gründeten Zweigbetriebe und Tochterunternehmen in den wirtschafts- und strukturschwachen Regionen Deutschlands, darunter auch viele im Saarland.

Auch die jüngste Vergangenheit zeigt, dass die Herausforderung „Ausstieg aus dem Bergbau“ – bei einem ausreichenden Anpassungszeitraum -strukturpolitisch durchaus zu meistern ist. So gingen bereits in den vergangenen sieben Jahren im Saarbergbau bereits ebenso viele Arbeitsplätze verloren wie derzeit noch vorhanden sind – knapp 6.000 also. Der Personalstand hat sich in dieser Zeit halbiert; eines von zwei Bergwerken wurde geschlossen. Die Aufträge an die Bergbauzulieferer gingen gleichfalls deutlich zurück. Dennoch waren die Jahre nach der Jahrtausendwende für unser Land insgesamt wirtschaftlich durchaus erfolgreich: Das Bruttoinlandsprodukt wuchs hierzulande um 12 Prozent, bundesweit waren es nur neun Prozent. Und auch bei den Arbeitsplätzen konnte das Land gut mit der Entwicklung auf Bundesebene Schritt halten.

Standortaufwertung fortsetzen

Was in den vergangenen sieben Jahren möglich war, sollte auch in den kommenden sieben Jahren zu schaffen sein. Die jetzt zugesagten 100 Millionen Euro an Strukturhilfen sind dabei durchaus eine Hilfe. Wir müssen uns allerdings im Klaren darüber sein, dass ein reibungsloser Strukturwandel in Zukunft größere Anstrengungen erfordern wird als in den letzten Jahren. Denn die Zeiten, in denen die beiden industriellen Kernbranchen Fahrzeugbau und Stahl hierzulande für überdurchschnittliche Wachstumsdynamik und zusätzliche Beschäftigung sorgten, scheinen vorerst vorbei. Im strukturprägenden Fahrzeugbau kündigt sich eher eine Phase der Konsolidierung an. Und in der Stahlindustrie droht sich die Lage einzutrüben, wenn die Weltkonjunktur einen Gang zurückschaltet und in Indien und China in beträchtlichem Umfang neue Stahlkapazitäten in Betrieb gehen.

Am besten wäre es, den Ausstieg aus der Kohle zum Anlass zu nehmen, ein schlüssiges struktur- und standortpolitisches Gesamtkonzept zu entwickeln. Im Mittelpunkt sollten u. a. fünf Handlungsfelder stehen, in die dann auch die zugesagte Strukturhilfe fließen könnte.

Erstens gilt es, die Mittelstandsförderung und die Unterstützung von Unternehmensgründungen auf gehobenem Niveau fortzuführen und insbesondere im Bereich der Innovationsförderung den einen oder anderen zusätzlichen Akzent zu setzen. Zweitens ist sicherzustellen, dass weiterhin ausreichende Mittel für Investitionszuschüsse zur Erweiterung und Ansiedlung von Betrieben zur Verfügung stehen. Drittens ist die Qualitätsoffensive an unseren Schulen forciert fortzusetzen. Viertens sind die für die Wirtschaft wichtigen Studiengänge an den Saar-Hochschulen quantitativ und qualitativ zu stärken. Handlungsbedarf besteht hier insbesondere bei der Ingenieurausbildung. Fünftens schließlich gilt es, Standort prägende Infrastrukturvorhaben wie etwa „Stadtmitte am Fluss“ zügig zu realisieren.

Auf die Agenda gehören aber keineswegs nur Maßnahmen, die Geld kosten. Das Land muss auch dort ansetzen, wo es noch saarspezifische Nachteile gibt – an den zu hohen Gewerbesteuerhebesätzen, an den überdurchschnittlichen Gesundheitskosten und der zu hohen Zahl an Feiertagen. Es ist jetzt an der Zeit, diese Nachteile schrittweise zu beseitigen.

Wenn wir den Kohleausstieg auf diese Weise offensiv flankieren, ist ein Strukturwandel ohne Brüche möglich. Packen wir’s an!