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Energiewende-Barometer 2023: Historisch schlechtes Ergebnis

IHK: Energiepolitik belastet Wettbewerbsfähigkeit der Saarwirtschaft überdurchschnittlich
Das Grundgesetz der Energieversorgung – das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) – verlangt in § 1, dass die Energieversorgung eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas sein soll, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht. Dies sind damit auch die Bewertungskriterien für den Status quo und die zukünftige Entwicklung der Energiewende in Deutschland. Nur wenn diese Kriterien erfüllt werden und dabei ein Gleichgewicht gewährleistet ist, kann die deutsche Energiewende als erfolgreich angesehen werden. Die IHK-Organisation hat daher auch in diesem Jahr bundesweit wieder Unternehmen zu den Chancen und Risiken der Energiewende befragt. Das Ergebnis aus knapp 3.600 Antworten: Über alle Branchen hinweg betrachtet die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland die Energiewende stärker denn je als Belastung. Noch nie war die Sorge um die eigene Wettbewerbsfähigkeit größer.

Ein wesentlicher Auslöser für die negativen Einschätzungen der Unternehmen sind die energiepolitischen Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Nach dem Energiepreisschock Ende letzten Jahres und dem relativ glimpflich verlaufenen Winter sind die Unternehmen zutiefst in Sorge, was die weitere Entwicklung angeht. Sie sehen ihre Wettbewerbsfähigkeit zunehmend infrage gestellt. Denn die Energiepreise blieben auf einem hohen Niveau und es mangelt an positiven Aussichten für die Wirtschaft in Deutschland. Aus Sicht der Betriebe rücken so fehlende Planbarkeit und Verlässlichkeit in der Energiepolitik an die erste Stelle der Transformationshemmnisse. Dabei sehen sich die Unternehmen zunehmend mit Vorgaben konfrontiert, die in der Praxis kaum umsetzbar sind. Hinzu kommen Einsparziele aus dem Energieeffizienzgesetz, von denen niemand sagen kann, wie sie ohne ein Herunterfahren der Produktion erreicht werden können. Damit fehlt den Betrieben letztlich die zentrale Planungsgrundlage für Zukunftsinvestitionen

Seit Beginn der Erhebung im Jahr 2012 wird die Energiewende von der deutschen Wirtschaft insgesamt überwiegend skeptisch beurteilt. Lediglich in den Jahren 2016 und 2017 war die Bewertung positiv. Über die Branchen hinweg überwogen damals die Chancen die Risiken. Diese Entwicklung kehrte sich 2018 um und der Barometerwert, der die Auswirkungen der Energiewende auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auf einer Skala von 100 „sehr positiv“ bis -100 „sehr negativ“ angibt, liegt seither im negativen Bereich. Aktuell bewerten die Unternehmen die Energiewende mit -26,9 Zählern. Das ist ein historischer Tiefstand.


Grafik Energiewendebarometer (jpg)


Saarland weiterhin deutlich kritischer

Wie schon in den Vorjahren bewerten die Saar-Unternehmen die Auswirkungen der Energiewende auf ihre Wettbewerbsfähigkeit insgesamt deutlich kritischer als im Bund. Mit -31,6 Zählern wurde der Bundeswert sogar noch deutlich unterschritten. Dies liegt nicht zuletzt an der besonders negativen Einschätzung der Energiewende durch die Saar-Industrie. Nach dem bisherigen Allzeittief von -37,5 Zählern im Jahr 2019 und einer zwischenzeitlichen Verbesserung stürzte der Barometerwert in der Industrie geradezu ab und markiert aktuell mit -43,3 Zählern einen neuen Negativrekord. Offensichtlich geht es in vielen Industriebetrieben inzwischen um die Existenz. Dies ist besonders bedrohlich für den Wirtschaftsstandort und gefährdet letztlich das wirtschaftliche Überleben des Saarlandes. Die Politik in Bund und Land ist daher dringend gefordert, umzusteuern und die Unternehmen rasch und umfänglich zu entlasten, statt ihnen noch weitere Energiewendekosten aufzubürden. Denn die sind mittlerweile zu einer Hypothek für den Transformationsprozess zu einer klimaneutralen Wirtschaft geworden.


Grafik Branchen bewerten Auswirkungen (png)



Hohe Energiepreise hemmen Investitionen in der Industrie

Besorgt schauen insbesondere die Industrieunternehmen deshalb auch auf die Entwicklung der Energiepreise. Überall fahren sie ihre Investitionen wegen der hohen Energiekosten zurück. Auffällig betroffen von dieser Zurückhaltung sind Investitionen in Kernprozesse, d. h. zentrale Ersatz- oder Erweiterungsinvestitionen. Sie werden bundesweit bei rund 39 Prozent aller Industriebetriebe zurückgefahren. Im Saarland ist dies sogar bei knapp 47 Prozent der Unternehmen der Fall. Das ist aber das Gegenteil eines Investitionsaufschwungs, der zur Bewältigung der aktuellen Krisen nötig wäre.

Bedenklich ist auch die Situation bei den Klimaschutzinvestitionen. Sie sind am zweitstärksten von den hohen Energiekosten betroffen und werden bundesweit von mehr als 27 Prozent der Industrieunternehmen gekürzt. Im Saarland sogar von 40 Prozent. Damit ist eine erfolgreiche Transformation der Saar-Industrie in Richtung Klimaneutralität mehr als gefährdet.

Etwas weniger betroffen sind zumindest die Investitionen in Forschung und Innovation. Aber auch hier fahren bundesweit ein Viertel der Industriebetriebe ihre Investitionen zurück. Im Saarland reagieren ein Drittel der Unternehmen so. Auch auf diesem Feld geraten Saar-Unternehmen damit längerfristig ins Hintertreffen gegenüber ihren Wettbewerbern.

Energiewende verstärkt Abwanderungstendenzen der Industrie

Die Investitionsentscheidungen haben in der Summe langfristig erhebliche Auswirkungen auf das Überleben des Wirtschaftsstandorts. In der Industrie nehmen deshalb auch die Pläne deutlich zu, dem Standort Deutschland den Rücken zu kehren. Knapp 32 Prozent der deutschen Industriebetriebe plant oder realisiert die Verlagerung von Kapazitäten ins Ausland beziehungsweise die Einschränkung ihrer Produktion im Inland. Im Saarland äußern sich so lediglich rund 14 Prozent. Die Standorttreue scheint also bei vielen saarländischen Industriebetrieben weiterhin noch stark ausgeprägt zu sein. Allerdings äußert sich die Hälfte der Betriebe gar nicht zu diesem Thema, was darauf zurückzuführen sein könnte, dass derartige strategische Entscheidungen in den Unternehmenszentralen mit Sitz außerhalb des Saarlandes getroffen werden. Ein Indiz dafür ist auch die besondere Zurückhaltung bei den Großbetrieben (67 Prozent).

Was die Wirtschaft von der Politik erwartet

Angesichts der nach wie vor zahlreichen Baustellen der Energiepolitik von den Strompreisen bis hin zum Netzausbau muss die Politik schnellstmöglich gegensteuern, um der Wirtschaft eine Perspektive in Deutschland zu erhalten.

Die IHK-Organisation hat deshalb fünf Punkte für eine erfolgreiche Energiewende und einen stärkeren Wirtschaftsstandort erarbeitet:

1. Energiepreise durch höheres Angebot senken

Immer mehr Industrieunternehmen sehen sich durch die hohen Energiepreise und das unsichere energiepolitische Umfeld gezwungen, ihre Produktion am Standort Deutschland einzuschränken oder sogar ganz abzuwandern. Ohne Entlastungen verlieren die Unternehmen ihre Energiewendefähigkeit.

In einem ersten Schritt könnten wettbewerbsfähige Energiepreise durch niedrige Steuern und Abgaben in der Breite erreicht werden. Zweitens lassen sich mit einem Investitionszuschuss für Direktlieferverträge (PPA) zusätzliche Kapazitäten bei Erneuerbare-Energien-Anlagen heben und so die Strompreise ebenfalls senken. Für hochenergieintensive Unternehmen, für die die genannten Maßnahmen nicht ausreichen, um im harten internationalen Wettbewerb zu bestehen, könnten ergänzende Maßnahmen "zielgerichtet und beihilferechtskonform" helfen. Dabei sollten jedoch Konditionalitäten und Berichtspflichten so gering wie möglich ausfallen.

Herzstück des DIHK-Konzepts ist die Ausweitung des Stromangebots und eine Reduzierung der Stromnebenkosten durch die sogenannte StromPartnerschaft . Mit StromPartnerschaften zwischen Betreibern erneuerbarer Energien und Verbrauchern aus Industrie und Gewerbe wird die Energie direkt vom Erzeuger geliefert. In Kombination mit einem Investitionszuschuss und einer Entlastung bei den Netzentgelten führt dies zu einer schnellen Ausweitung des Energieangebots und niedrigeren Strompreisen.

Die Effekte der StromPartnerschaft auf Beschaffungspreise der Unternehmen, den Ausbau erneuerbarer Energien und die Kosten für den Bundeshaushalt in Höhe von jährlich rund 2,9 Milliarden Euro wurden im Rahmen einer Studie von PwC berechnet. Im Ergebnis wird deutlich, dass mit den StromPartnerschaften ein Drittel des Industriebedarfs an Strom durch Erneuerbare abgedeckt werden könnte – und zwar deutlich früher und zu konkurrenzfähigeren Preisen als bisher geplant.

2. Wasserstoff verfügbar machen

Eine ausreichende Versorgung mit Wasserstoff macht vor allem den Betrieben in den industriellen Regionen große Sorgen – und zwar von der Menge und der regionalen Verfügbarkeit her. Wasserstoff ist unverzichtbar für die Energiewende hin zur Klimaneutralität. Viele Industrieprozesse können nicht elektrifiziert werden, weil sie hohe Temperaturen in der Prozesswärme brauchen oder Wasserstoff als Grundstoff für die Produktion.

Die Bundesregierung strebt bis 2030 eine Elektrolysekapazität von 10 Gigawatt bei grünem Wasserstoff an. Damit könnte ein Fünftel des geschätzten Gesamtbedarfs von rund 130 Terawattstunden an Wasserstoff produziert werden. Ende letzten Jahres hatten wir in Deutschland 79 Megawatt an realisierter Elektrolyse-Leistung in Deutschland, also weniger als 1 Prozent der Zielvorgabe.

Unternehmen benötigen Planungssicherheit. Das Tempo der Wasserstoffproduktion muss sich massiv erhöhen. Von Beginn an sollte das Wasserstoff-Kernnetz einer regionalen Planung unterliegen, um sicherzustellen, dass die Infrastruktur entsprechend den Bedarfen der Unternehmen entwickelt wird. Ohne Importe wird der Wasserstoffbedarf zudem nicht gedeckt werden können. Energiepartnerschaften mit potenziellen Lieferländern sollten zügig, breit gestreut und langfristig geschlossen und einheitliche oder zumindest vergleichbare Standards für klimaneutralen Wasserstoff geschaffen werden

3. Planbarkeit erhöhen

Fehlende Planbarkeit und Verlässlichkeit in der Energiepolitik ist das Transformationshemmnis Nummer eins für die Betriebe. Eine radikale Vereinfachung ist daher nötig: Alle Genehmigungsanträge, die eine Verwaltung durchlaufen müssen, sollten mit verbindlichen Start- und Endterminen versehen werden. Eingereichte Anträge, die in diesem Zeitraum nicht durch die Behörden beschieden werden, gelten dann automatisch als genehmigt.

Schneller und einfacher wird es auch, wenn die Bundesregierungen bereits eingeführte Beschleunigungsverfahren auch auf andere Bereiche ausdehnt – etwa die Erleichterungen für LNG-Terminals auf andere Infrastrukturprojekte oder die Entlastungen beim Solarpaket, die bislang nur für private Immobilienbesitzer gelten.

4. Bürokratie abbauen

Betriebe sehen sich einer wachsenden Zahl von Berichtspflichten und bürokratischen Vorgaben gegenüber. Selbst mögliche Ansprüche auf finanzielle Entlastung wie bei den Energiepreisbremsen machen sie teilweise gar nicht erst geltend, weil Aufwand und Auflagen dafür abschreckend hoch sind. Hinzu kommen neue bürokratische Auflagen wie beispielsweise im Rahmen der verbindlichen Nachhaltigkeitsberichterstattung. Aber auch Anträge auf Netzanschluss und Zertifizierungen führen bei der Errichtung von größeren PV-Anlagen bei Unternehmen schnell zur bürokratischen Überforderung.

Der Grundsatz, dass für eine neue eine alte Vorschrift wegfallen muss, scheint bei den Energiewende-Themen ausgesetzt. So gibt es jetzt zwar weniger Vorschriften bei der Genehmigung von PV-Anlagen. Dafür kommen an anderer Stelle, nämlich beim neuen Energieeffizienzgesetz, gleich mehrere neue Regelungen dazu. Damit müssen jetzt viele Betriebe neue Managementsysteme einrichten, die wiederum zertifiziert werden müssen. Abgesehen von den Dopplungen von Prozessen in den Prozessen gibt es dabei noch nicht einmal genügend Energieberater und Zertifizierer, um die formalen Anforderungen zu erfüllen.

Die bürokratischen Anforderungen binden Personal und Finanzmittel, die an anderer Stelle fehlen. Sie behindern unternehmerische Kreativität und schränken vorhandene Potenziale ein. Aus Sicht der Unternehmen sollten Wirtschaftlichkeit, Freiwilligkeit und Technologieoffenheit die Leitprinzipien für energiepolitische Maßnahmen besonders in Bezug auf Energieeffizienz sein. Diese Prinzipien sind zielführender für die Energiewende als bürokratische Nachweis-, Berichts- und Umsetzungspflichten.

5. Stromnetze bauen

Der Ausbau der Stromnetze kommt nur schleppend voran: Im Zuge der Energiewende werden 12.000 Kilometer an neuen Stromleitungen benötigt. Etwa 9.000 Kilometer, also drei Viertel davon, sind bislang noch nicht einmal genehmigt, geschweige denn in Bau.

Fehlende Netze führen zu kostenintensiven Abschaltungen besonders von Windkraftanlagen und Eingriffen zur Netzstabilisierung, die die bereits heute hohen Netzentgelte weiter ansteigen lassen. Dies gefährdet die Energieversorgung und macht sie für die Unternehmen deutlich teurer. Nach aktueller Planung sind bis 2045 Investitionen von etwa 250 Milliarden Euro für ein zukunftsfähiges Stromnetz notwendig. Diese Kosten werden über weiter steigende Netzentgelte auf Unternehmen und Verbraucher umgelegt.

Hier braucht es ein klares Zeichen der Politik, die Netzentgelte zu begrenzen. Sie machen heute schon bis zu 20 Prozent des Strompreises aus. Hohe Netzentgelte durch stärkeren Stromeinsatz anstelle von Gas dürfen die Transformation der Betriebe in Richtung Klimaneutralität nicht behindern.

Alle Ergebnisse der bundesweiten Umfrage mit weiteren Details finden Sie hier zum Download.